Die Wirkung von Medikamenten zur Therapie der Immunschwächekrankheit AIDS kann durch die gleichzeitige Einnahme anderer Arzneimittel beeinflusst werden. Thüringens Apothekerinnen und Apotheker empfehlen HIV-Patienten und deren Angehörigen deshalb, sich vor dem Kauf von Arzneimitteln zur Selbstmedikation beraten zu lassen.

“Bei einer HIV-Therapie werden meist mehrere Arzneimittel miteinander kombiniert, die unterschiedliche Wirkmechanismen haben”, erläutert Apothekerin Julie Garke, Pressesprecherin der Nordhäuser Region. Und sie fährt fort: “Diese Behandlungsstrategie wird bereits seit einigen Jahren eingesetzt, um die Vermehrung des Virus zu verhindern. Allerdings: Durch den Einsatz verschiedener Medikamente können Wechselwirkungen im Vergleich zu anderen Therapien besonders häufig auftreten”.

Zum Beispiel kann Johanniskraut, das zur Beruhigung und Stimmungsaufhellung angewendet wird, die Wirksamkeit einiger HIV-Medikamente reduzieren. Inhaltsstoffe dieser Heilpflanze greifen an einem Leberenzym an, das den Abbau der Arzneistoffe beschleunigt. Die Konzentration der Medikamente im Blut genügt dann nicht mehr, um effektiv zu wirken. Eine ähnliche Wirkung können hoch dosierte Knoblauchpräparate haben.

Stärkung des Immunsystems

So paradox es tönt: Hauptsächlich auf pflanzliche Präparate zur Stärkung des Immunsystems sollten HIV-Patienten besser verzichten. Sie können den Krankheitsverlauf beeinträchtigen und schlimmstenfalls sogar die Vermehrung des Virus fördern und damit das Gegenteil des gewünschten Effekts auslösen. Durch die Anregung der Abwehrkräfte werde die Zahl der so genannten Helferzellen erhöht, sagt Garke.

Weil die HI-Viren diese Zellen des Immunsystems für die Vermehrung nutzen, könne es nach der Einnahme entsprechender Präparate zu einem Anstieg der Erreger im Blut kommen. HIV-Patienten sollten deshalb vor allem Arzneimittel mit der Heilpflanze Echinacea (Sonnenhut) meiden. Aber auch Ginseng, Taigawurzel und Pelargoniumwurzel (Umckaloabo) regen das Immunsystem an und sind tabu.

Diese Beispiele zeigen, dass die Einnahme von Phytopharmaka (Heilpflanzen-Präparate) nicht immer harmlos ist. Denn auch sie haben eine pharmakologische Wirkung und greifen in den Körper ein. Vor der Einnahme freiverkäuflicher Medikamente sollten sich Patienten deshalb unbedingt erkundigen, ob das jeweilige Präparat die Krankheit oder die Wirkung der verordneten Arzneimittel beeinflussen kann. Apotheken seien die ideale Anlaufstelle, wenn es um Fragen zur Wirkung von Arzneimitteln gehe, schreiben Thüringens Apothekerinnen und Apotheker.

Quelle:

http://www.kyffhaeuser-nachrichten.de/news/news_lang.php?ArtNr=81698

Kommentar & Ergänzung: Wechselwirkungen zwischen HIV-Medikamenten und Heilpflanzen

Johanniskraut-Extrakte dürfen auf keinen Fall zusammen mit HIV-Medikamenten eingenommen werden. Diesen Punkt kann man nur unterstreichen. HIV-Medikamente müssen sehr genau dosiert werden und brauchen einen bestimmten Spiegel im Blut, damit sie optimal wirksame sind. Weil Johanniskraut den Abbau dieser Medikamente beschleunigt, kann die Wirkung beeinträchtigt werden.
Weniger bekannt ist eine mögliche Wechselwirkung von HIV-Medikamenten mit Knoblauch. Der „Leitfaden Phytotherapie“ (2010) dazu:
„Eine Interaktion mit dem Proteasehemmer Saquinavir wurde bei einem Knoblauchpräparat (GarliPure) festgestellt und kontrovers diskutiert.“
Detailliertere Informationen dazu gibt die Deutsche AIDS-Hilfe e. V. auf der Website www.hivreport.de:

„Von der Einnahme von Knoblauchpräparaten muss bei einer HAART dringend gewarnt werden! Hoch dosierte Knoblauchpräparate beeinflussen medikamentenabbauende Leberenzymsysteme; der Blutspiegel von Saquinavir (Invirase® oder Fortovase®) z. B. wird um ca. 50 % gesenkt – diese Wirkung kann noch Tage nach Absetzen des Knoblauchpräparates anhalten!

Wechselwirkungen

In der Studie von Piscitelli (s. Literatur) traten die Wechselwirkungen bei einer Dosierung ein, die der Einnahme von 2 Knoblauchzehen (mit jeweils 4 Gramm) pro Tag entspricht (also 8 Gramm Tagesdosis). Dies ist eine relativ große Menge an Knoblauch, die im täglichen Essen kaum, aber als Extrakt in Kapseln durchaus erreicht wird.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat daher im November 2006 die Hersteller von Knoblauch-haltigen Arzneimitteln aufgefordert, ab einer Dosierung von 0,8 Gramm (entspricht dem Fünftel einer Knoblauchzehe) pro Tag einen Warnhinweis in den Beipackzettel einzufügen. Dies entspricht einem Zehntel der in der Studie von Piscitelli verwendeten Dosierung.

Heutzutage wird Saquinavir (anders als in der Studie) praktisch nicht mehr ungeboostet (als Fortovase® ) eingesetzt, sondern (als Invirase® ) nur noch in Kombination mit Ritonavir (Norvir® in niedriger Dosierung). Ob man die Ergebnisse der Studie auf geboostetes Saquinavir übertragen kann, ist nicht klar. Eigentlich ist die Situation bei einer Boosterung mit Ritonavir anders, denn Norvir® blockiert die medikamentenabbauenden Enzymsysteme.

Zu erwarten ist, dass auch die Konzentration anderer Protease-Inhibitoren (und möglicherweise auch von NNRTI) gesenkt werden könnte, doch gibt es dazu bisher leider keine Studien.

HIV-Medikamente

Wenn man HIV-Medikamente einnimmt und auf Knoblauchpräparate nicht verzichten möchte, wird wie bei Johanniskraut dringend empfohlen, sich darüber mit seinem HIV-Arzt / seiner HIV-Ärztin abzusprechen. Eventuell kann eine Bestimmung der Blutspiegel der HIV-Medikamente weiter helfen.

Ritonavir (in Norvir® oder in Kaletra® ) kann zu einer ausgeprägten Knoblauch-Unverträglichkeit führen, d.h. in diesem Falle auch gegen frischen Knoblauch.

Wie ist das nun mit dem Knoblauch auf der Pizza?

Hierzu -also zu frischem Knoblauch- gibt es leider keine Studie. Es gibt allerdings drei Argumente, warum man auch mit einer Proteasehemmer-Therapie (mit Saquinavir) keinen großen Bogen um ein Pizza machen muss:

1. Der vom BfArM benannte Sicherheitsabstand (ab 0,8 Gramm/Tag = ein Fünftel einer Knoblauchzehe) ist sehr hoch. Die Tagesdosis in der Studie war 10-fach höher. Zwei Zehen pro Person finden sich kaum in einem Essen.

2. Bei der Studie wurde die tägliche Einnahme von Knoblauchpräparaten untersucht. Man nimmt aber normalerweise nicht täglich große Mengen Knoblauch mit dem Essen zu sich.

3. Die Ergebnisse eines ungeboosteten Proteasehemmers lassen sich nicht einfach auf einen geboosteten Proteasehemmer übertragen.

Wenn man also nicht gerade eine Knoblauchunverträglichkeit hat (s.o.), kann man das Essen im italienischen Restaurant also nach wie vor genießen. Mit wirklich großen Mengen Knoblauch (oder bei Knoblauchpräparaten) sollte man aber vorsichtig sein bzw. mit seinem Arzt/seiner Ärztin sprechen.

Literatur:

Piscitelli SC, Burstein AH, Welden N, et al.: The effect of garlic supplements on the pharmacokinetics of saquinavir. Clin Infect Dis. 2002 Aug 1;35(3):343 

Markowitz JS, Devane CL, Chavin KD, et al.: Effects of garlic (Allium sativum L.) supplementation on cytochrome P450 2D6 and 3A4 activity in healthy volunteers. Clin Pharmacol Ther 2003;74(2):170-7.

An in vitro evaluation of human cytochrome P450 3A4 and P-glycoprotein inhibition by garlic. Foster BC, Foster MS, Vanderhoek S, et al. J Pharm Pharmaceut Sci, 2001, 4:176-184.

Brief des BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) vom Oktober/November 2006 an die Arzneimittelhersteller mit der Aufforderung, einen Warnhinweis zu Knoblauch in den Beipackzettel einzufügen.“

Quelle:
http://www.hivreport.de/index_4837_de.html

Die Phytotherapie-Fachliteratur ist sich einig, dass immunstimulierende Heilpflanzen bei HIV-Patienten kontraindiziert sind, und dass von ihnen kein Nutzen gegen eine HIV-bedingte Immunschwäche erwartet werden kann. Weniger bekannt ist die Befürchtung, dass immunstimulierende Heilpflanzen über eine Erhöhung der Zahl der Helferzellen die Virusvermehrung fördern könnten. Meines Wissens ist ein manifester negativer Einfluss dieser Heilpflanzen auf den Verlauf einer HIV-Infektion nicht belegt. Im Sinne einer „safety first“-Haltung scheint mir aber die Warnung der Thüringer Apothekerinnen und Apotheker sehr berechtigt und die Argumentation überzeugend.

Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde

Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz

Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
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www.phytotherapie-seminare.ch

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Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch

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